von Stefan Fingerle | 3. Nov, 2024 | Allgemein, Bericht, Impuls |
Die Güte des Herrn ist’s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß.
Klagelieder 3, 22-23
Liebe Geschwister!
Liest man das Kapitel 3 der „Klagelieder“, dann versteht man, warum der Text „Klagelieder“ heißt. Der Schreiber hat allen Grund zum Klagen! Es geht ihm schrecklich und Gott lässt das zu…
Hast Du – liebe Schwester, lieber Bruder, nicht auch oft Grund zum Klagen?! Dann klage bitte!
Der Dichter dieser Klage – zunächst muss alles Negative aus ihm raus – erinnert sich dann aber an noch eine andere Wirklichkeit in seinem Leben! Von diesem Punkt nun fällt Licht in das Dunkel seiner Worte und gibt ihm Mut und Hoffnung! Das erwähnt er mit aller Dankbarkeit: Es ist gar keine neue Erkenntnis, auf die er seine Hoffnung gründet, sondern etwas, was ihm mitten im Klagen wieder einfällt, also etwas, was ihm vorher schon bekannt ist und nur durch die Erfahrung des Gotteszornes überschattet war, aber seine Gültigkeit trotzdem nicht eingebüßt hat.
Hier wechselt der Schreiber von der Erzählform in die Gebetsform und er hat darin die doppelte Blickrichtung eingenommen, in der der persönliche Gedanke als Grund und die „Verkündigung“ für die Gemeinde als Ziel der Aussage zusammengefasst sind. Der Inhalt ist eine Wiederholung der fundamentalen Sätze der Uroffenbarung JAHWES am Sinai, was auch eine Parallele in den Psalmen hat -> Psalm 86, 15; 103, 8; 111, 4; 145, 8! Die grundlegenden Zusagen werden hier aufgegriffen, aus 2. Mose 34, 6, und in ihrer unzerbrechlichen Geltung für die Gegenwart bestätigt. Die Gnade JAHWES ist nicht zu Ende, SEINE liebende Zuwendung zu Dir ist! ER – GOTT – leidet mit, daraus fließt SEIN Erbarmen in Dein und mein Leben!!!
Das hört auch in SEINEM Gericht nicht auf! Er ist und bleibt lebendige Wirklichkeit!!! Darin zeigt sich die Größe SEINER Treue. Darauf kannst du dich verlassen. In Gottes Handeln verwirklicht SICH SEIN Wesen: für Dich liebend da zu sein! Die Verse 22 und 23 bilden als Darstellung SEINES Wesens den Mittelpunkt und Höhepunkt des Kapitels. Das Erbarmen Gottes, SEINE Güte und Treue hat der Schreiber in seiner Anfechtung erfahren, und DU darfst es auch erfahren.
„Mein Teil ist JAHWE“ – also der Gott, der da ist, so schreibt der Dichter.
In dieser Heilserfahrung hat er in seinem angefochtenen Glauben wieder festen Grund gefunden, und der bleibt!
Bitte das ganze Kapitel 3 lesen; und dann die Verse 22 und 23 besonders!
Euer Bruder Gerhard H.
von Stefan Fingerle | 3. Nov, 2024 | Allgemein, Bericht, Impuls |
Wir warten aber auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nach seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt.
(2. Petrus 3,13)
„Gerechtigkeit“ – Ich sehne mich danach
„Gerechtigkeit“ – Wir sehnen uns danach
„Weder der Abendstern noch der Morgenstern sind so wundervoll wie die Gerechtigkeit“ (Aristoteles)
Aber schon wenn nur zwei Leute oder auch zwei Geschwister aus unserer Gemeinde beschreiben, glauben und leben was Gerechtigkeit für sie ist, liegen die Vorstellungen, der Glaube und das Leben weit auseinander.
Wie gut ist es da im Gesetz eine Richtschnur für Gerechtigkeit zu finden. Wie gut ist es, wenn jeder durch eine Justiz diese Richtschnur für sich beanspruchen kann, und wenn nötig auch vor einem Gericht einklagen kann.
Das Grundgesetz unseres Landes ist ein Beispiel dafür: (Auszug)
(1)Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
Auch die Bibel preist die Gerechtigkeit. Denn durch Gesetz und Gerechtigkeit werden die Lebensverhältnisse so geordnet, dass alle in diese Verhältnisse einbezogenen Personen zu ihrem Recht kommen, ohne es sich selber – in der Regel auf Kosten der Rechte der anderen – nehmen zu müssen. Wo Gerechtigkeit herrscht entsteht Frieden, Schalom.
Das Gegenteil tritt hingegen ein, wenn die grundlegenden Lebensverhältnisse, statt einander gegenseitig zu begünstigen, miteinander konkurrieren und einander zu schädigen beginnen – bis hin zu gegenseitiger Zerstörung. Und das geschieht, wenn der Mensch sein Verhältnis zu sich selbst so realisiert, dass es zu rücksichtsloser Selbstverwirklichung kommt. Dann wird die Beziehung zu Gott der eigenen Selbstverwirklichung untergeordnet oder gar geopfert. Dann werden Götzen angebetet, die deshalb Götzen sind, weil der Mensch sie zu seinem eigen Vorteil gebrauchen, benutzen kann und gerade dadurch, dass er sie für seine eigenen Zwecke benutzt, von ihnen wie ein Süchtiger abhängig wird. Götzen sind niemals um ihrer selbst willen interessant. Gott ist um seiner selbst willen interessant. Wo er nicht mehr ist, da beginnt der Götzendienst., der nur ein Instrument rücksichtsloser menschlicher Selbstverwirklichung ist.
Gerechtigkeit ist:
– Der Mensch ist sich gut
– Der Mensch ist dem anderen Menschen gut
– Der Mensch lebt von Gottes Gesetzen, die wiederum bewirken sollen, dass er sich selbst und anderen gut ist.
Aber ist es das worauf Petrus wartet??
Und –
Eine Welt, die so aussieht, die so gerecht ist, ist eben nicht unsere aktuelle Situation.
Grundrechte werden beschnitten, Autokraten regieren und werden gewählt. Völker werden überfallen. Menschenrechte werden mit Füssen getreten. Menschen werden ausgegrenzt, gefangengenommen, gefoltert. Menschen sterben auf der Flucht. Kinder werden misshandelt. Menschen verhungern. —- Wahrheit wird verdreht. Auch in unserem Land. Macht rückt an die erste Stelle. Mir macht das Angst.
Bei Hitlers brennt noch Licht
Es ist nie ganz erloschen,
nur eine kurze ruhige Zeit war`s Fenster fest verschlossen.
Nur ab und zu, ganz schüchtern fast, kaum hörbar, ein Gewisper…..
Man nahm`s kaum wahr und dachte sich:“ was soll`s? Da ist noch Licht an.“
Bei Hitlers brennt noch Licht.- Jetzt treten sie ans Fenster.
Jetzt sieht man sie, jetzt hört man sie… Das sind keine Gespenster.
Ganz stolz und lautstark stehn sie da, entzünden und krakeelen.
Und ihre Drohung ist ganz klar: „wir gehen wieder wählen.“
Bei Hitlers brennt noch Licht.
Vernunft wo bist du? Wo?
Komm raus und hilf – und schalt es aus
……sonst brennt es lichterloh
(Simon Pearce)
Wir warten aber auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nach seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt.
Das neue Testament allerdings spricht von einer anderen Gerechtigkeit. Im neuen Himmel und auf einer neuen Erde wohnt Gottes Gerechtigkeit. Und sie hat in Jesus Christus, Gottes Sohn schon ihren Anfang genommen.
– Das Evangelium ist der Ort der Offenbarung dieser Gottesgerechtigkeit.
Luthers Entdeckung, das Gottes Gerechtigkeit nicht die gesetzliche Gerechtigkeit ist, in der Gott jedem das Seine gibt, sondern die Gerechtigkeit Gottes ist das Evangelium (die frohe Botschaft) vom Leben und Sterben seines Sohnes, die „frohe Botschaft vom Kreuz“- Es ist das Evangelium von der Gerechtsprechung des ungerechten Menschen. Die Gerechtigkeit
Gottes ist die Gerechtigkeit, durch welche Gott aus Gottlosen Gerechte macht. Gott ist gerecht, indem er gerecht macht.
Davon lebt Petrus
Davon lebe ich.
Gerechtigkeit Gottes – seine Rechtfertigung ist es, wovon ich lebe.
Seine Rechtfertigung ist ein Geschehen, in dem sich ein Wechsel vom Tod zum Leben ereignet. Es ist der Anfang, um den es bei jeder Geburt geht, von uns selber nicht machbar. Geboren werden ist ebenso wie von den Toten auferweckt werden ein Vorgang, an dem der Mensch selber nur unter Ausschluss aller eigenen Aktivität beteiligt ist. Man kann sich nicht selbst ins Leben rufen. Man kann sich nicht selber erzeugen.
Der Glaube ist die Einkehr des Menschen in diesen neuen Anfang. Und unser Dank ist die Antwort darauf.
Diese Hoffnung gibt der menschlichen Sorge um irdische Gerechtigkeit eine den Zwang, herrschen und richten zu müssen, erträglich machende Verheißung. Wer aus dieser Gerechtigkeit Gottes lebt wird gerade im Blick auf die irdischen Belange nicht aufhören zu beten: Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Aus der Erhörung dieser Bitte gewinnen die gerechtfertigten Sünder auch immer wieder die Freiheit, aller Enttäuschungen und Resignation zum Trotz mit solchem Tun für Gerechtigkeit immer wieder anzufangen. Vor allem aber: in der Bitte um Vergebung unserer Schuld vertrauen wir uns der uns gerecht machenden Gerechtigkeit Gottes an, die nun wirklich wunderbarer ist als der Abendstern und der Morgenstern. Ist sie doch, um im Bild zu bleiben, die alle Sterne überstrahlende Sonne der Gerechtigkeit.
(viele dieser Gedanken verdanke ich Professor Eberhard Jüngel und meinem Freund Gerhard Hildebrandt)
Achim E.
von Stefan Fingerle | 26. Aug, 2024 | Allgemein, Bericht, Impuls |
Der Herr heilt, die zerbrochenen Herzens sind, und verbindet ihre Wunden. Psalm 147,3
Liebe Gemeinde,
einmal nur nicht aufpasst und schon ist was kaputt. Die Tasse mit der Erinnerung aus dem letzten Urlaub, das tolle Kleid nach an einer Begegnung mit einem scharfen Gegenstand oder beim Ausparken aus der Parklücke nicht aufgepasst. Dabei braucht man nicht immer selbst schuld sein. Plötzlich funktioniert der alte Fernseher nicht mehr und das während der Fußball-EM. Zu allem Übel gibt dann noch die Waschmaschine den Geist auf und…
Manchmal kommt es dicke. Das erlebe ich immer wieder in meinem Leben. Je nach Wichtigkeit lohnt sich eine Reparatur oder man tauscht das kaputte Teil aus. Mit Sachen geht das.
Wenn das Herz gebrochen ist und die Seele Schmerzen hat, ist es nicht so einfach. Menschen fügen mir durch ihr Handeln oder ihr Reden Leid zu. Manchmal kommt nach Jahren etwas hoch, das lange verborgen war. Die Verletzung von Herz und Seele ist nicht einfach zu reparieren. Und Austauschen geht schon gar nicht. Da sitze ich zu Hause und der Schmerz ist da und geht einfach nicht weg.
Wie gerne würde ich jetzt einen Schalter umlegen, alles ist wieder gut und die Sonne scheint wieder. Da helfen dann auch nicht die guten Ratschläge: Kopf hoch, alles wird wieder gut. Je nachdem sitzt der Schmerz so tief und lähmt mich, dass ich an fast nichts anderes denken kann.
Trotzdem will bei all dem Leid und der Zerbrechlichkeit Gott für uns da sein und unsere zerbrochenen Herzen heilen. Nicht irgendwann in der Ewigkeit, sondern hier auf Erden in meinem Alltag. Ein oder zweimal beten und alles ist gut – nein so einfach geht es nicht. Manchmal kommt es mir so vor, dass Gott trotz Gebeten unendlich weit weg ist. Vermutlich macht er gerade Urlaub in Australien. Dabei bräuchte ich ihn jetzt hier in Reutlingen.
Ja ich kenne die Bibelstellen, in denen Gott verspricht den glimmenden Docht nicht auszulöschen und das genknickte Rohr nicht abzubrechen. Aber hilft dieses Wissen in meiner aktuellen Herz-Schmerz-Lebenssituation?
In Japan gibt es eine Technik die „Kintsugi“ heißt. Wenn z. Bsp. eine Tasse kaputt geht, versucht man die Teile nicht so zusammenzusetzen, dass man gar nichts mehr sieht. Im Gegenteil „Kintsugi“ lässt die Bruchstellen hervortreten und dann wird der Klebstoff noch mit Gold veredelt, sodass sie gut sichtbar sind.
Die Bruchstellen meines Lebens, die mich ausmachen, werden nicht spurlos ausgelöscht. Sie werden stattdessen behutsam zusammengefügt von Gott und werden noch da sein, aber nicht mehr so schmerzen. Das geht nicht von heute auf morgen. Es braucht Zeit und manchmal viel Zeit und Trauer.
Die Bibel nennt das Versöhnung. Versöhnung mit anderen, aber auch Versöhnung mit mir selber. Durch Versöhnung werden Wunden geheilt und Schmerzen werden gestillt. Gott fügt behutsam zusammen, was zerbrach.
Eine Hoffnung für später für die Ewigkeit? Nein! Eine Verheißung für das Hier und Jetzt. Jesus hat gesagt: Das Reich Gottes hat schon mitten unter uns begonnen … und wächst weiter mit Macht. Das heißt schon jetzt und hier sollen unsere Tränen getrocknet werden mit Gottes Hilfe. Schon jetzt und hier ist Versöhnung möglich.
Ich weiß, das ist nicht so einfach zu glauben und zu begreifen. Manchmal dauert es und die Schmerzen brechen wieder auf und das Licht am Ende vom Tunnel ist so klein, dass es übersehen wird. Mein Leben hat viele Narben und Bruchstellen und längst ist nicht alles gut. Ich habe gerade einige Schmerzen, die mich traurig, hilflos und wütend machen.
Ich will trotzdem an dem Glauben festhalten, dass Gott die zerbrochenen Herzen heilt und die Wunden verbindet. Das wünsche ich euch auch!
Michael S.
von Stefan Fingerle | 22. Jul, 2024 | Allgemein, Bericht, Impuls |
“Du sollst der Menge nicht folgen zum Bösen.” (Ex 23,2 Elberfelder)
Eine Menge ist mächtig. Nicht erst seit den großen Massenhysterien des Nationalsozialismus ist klar: Eine Masse von Menschen hat eine gewaltige, mitreißende Anziehungskraft. Menschen fühlen sich gerne zugehörig. Einer Masse mit einem vermeintlichen Konsens kann der Einzelne sich nur schwer entziehen. Gerade heute gibt es mit den Sozialen Medien und unserer ausdifferenzierten Gesellschaft immer mehr sogenannte “Bubbles”, Filterblasen, wo wir in Gruppen unterwegs sind, die vor allem unsere eigenen Meinungen widerspiegeln. Das ist aber nur eine neue Episode eines alten Phänomens. Solche Gruppenphänomene haben positive Effekte: Es stärkt das Wir-Gefühl und lässt die Zusammenarbeit leichter fallen. Es gibt eine große Nähe und gute Gemeinschaft.
“Du sollst dich nicht der Mehrheit anschließen, die das Böse will.” (BasisBibel)
In diesen Mengen kann es aber auch dazu kommen, dass sich Meinungen zu Urteilen verhärten, was als böse angesehen wird. Das Erlebnis, dass alle scheinbar dieselbe Meinung haben, senkt dabei die eigene kritische Urteilskraft und Empathie für Menschen außerhalb der Bubble. Deswegen ist es nötig, einen bewussten Umgang mit “der Menge” zu finden. Es ist heilsam mit Menschen und Meinungen außerhalb der eigenen ‘Bubble’ ins Gespräch zu kommen und anhand ihrer Perspektiven neu ‘das Böse’ erkennen zu lernen. Manche ‘Bubbles’ sind auch zutiefst unbewusst. Als weißer Mann muss ich z.B. Frauen und People of Colour zuhören, um einen Einblick in ihre Lebenswelt zu kriegen. Diese Perspektive bleibt mir sonst verborgen. Gerade der Kontakt mit Menschen, mit denen wir sonst keine Gemeinschaft pflegen, gerade das aktive und reflektierte Zuhören, gibt uns das Handwerkszeug nicht nur der Menge, sondern wirklich dem Guten zu folgen.
“Du sollst der Menge nicht auf dem Weg zum Bösen folgen.” (Luther 2017)
Wenn ich in einer Menge stehen bleibe, werde ich mitgerissen. Ich falle zurück in alte Routinen und Denkmuster. Das Fremde bleibt mir fremd. Es erfordert Kraft, Mut, Geduld und Zeit sich aktiv auf andere Menschen und ihre Perspektiven einzulassen und daraus zu lernen. Wenn wir uns passiv verhalten und keine Stellung für das Gute beziehen, dann besteht die Gefahr einfach der Menge zu folgen.
“Steh nicht hinter der Menge, die auf Böses aus ist.”
Ex 23,2 kann uns dazu aufrufen: Verstecke dich nicht hinter der Menge und Mehrheitsmeinung. Laufe nicht einfach mit, lass den Dingen nicht einfach ihren Lauf, sondern gestalte aktiv mit: Setze dich ein für die marginalisierten Gruppen der Gesellschaft, die in der Mehrheitsperspektive nicht vorkommen. Beziehe aktiv Position für das Gute, auch gegen den Strom.
Carl Heng Thay Buschmann
(Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Rektoratsassistent an der Theologischen Hochschule Elstal)
von Stefan Fingerle | 28. Jun, 2024 | Allgemein, Bericht, Impuls |
Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten.
Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich. (1. Korinther 6,12)
„Alles ist mir erlaubt!“ Das wäre doch schon ein guter Monatsspruch gewesen, oder? Die christliche Freiheit auf den Punkt gebracht. Zur Unterstützung könnte man weitere Sätze dazustellen, die Paulus geschrieben hat. Der Gemeinde in Galatien ruft er zu: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!“ (Galater 5,1).
Freiheit ist ein hoher christlicher Wert. Dass wir an einen Gott glauben, der in die Freiheit führt, zeigt sich schon im Alten Testament: „Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe.“ So stellt sich Gott in 2. Mose 20,2 vor. Aus der Knechtschaft in die Freiheit führt er, in ein gutes Land hinein – das hat Israel erlebt, so haben sie Gott kennen gelernt.
Diese Freiheit sehe ich bei Christen nicht immer. Allzu häufig verheddern wir uns in Regeln oder lassen uns von Ängsten bestimmen. Für mich war es ein wichtiger Prozess, die Freiheit Gottes zu entdecken. Sie war nicht einfach „da“. Aber immer wieder habe ich erlebt, dass Gott mir Freiheit und Raum zur Entfaltung zuspricht. Mich herausführt aus mancher Enge in seinen weiten Raum.
Die doppelte Aussage „Alles ist mir erlaubt“ ist also nicht nur der Auftakt für das „Aber“, das folgt. Auch wenn Paulus hier vielleicht einen Satz zitiert, den die Korinther gerne vor sich hertrugen, lehnt er ihn nicht einfach ab. Er stellt nur etwas daneben.
Wie übrigens auch Gott in 2. Mose 20: Auf die Erinnerung an die Befreiung folgen die zehn Gebote. Es sind Leitlinien für einen klugen Gebrauch der Freiheit. So ähnlich macht das Paulus hier. Nur zitiert er nicht göttliche Gebote, sondern wendet sich an die Vernunft. Es sind zwei einfache Faustregeln, mit denen er die Grenzen der eigenen Freiheit ausmisst: Nicht alles dient zum Guten – nichts soll Macht haben über mich.
Der erste Satz klingt im Griechischen weniger moralisch als in der Lutherübersetzung: Nicht alles ist hilfreich, zuträglich, sagt Paulus schlicht. Und der zweite Aspekt weist auf die Gefahr, wie leicht absolute Freiheit in neue Abhängigkeit führt. Wer keinerlei Einschränkungen bei der Handynutzung kennt, kann bald nicht mehr ohne den Kick der kleinen Ablenkungen. Alkohol und gutes Essen können fröhliche Genussmittel sein, mich aber auch in Abhängigkeit und Unglück stürzen. Paulus bezieht seine Faustregeln im Folgenden auf den Gang zu Prostituierten, der in der Hafenstadt Korinth weit verbreitet war. Denkt darüber nach, was ihr da tut, sagt Paulus. Sex ist mehr als Triebbefriedigung, da entsteht eine tiefere Verbindung. Seid ihr euch bewusst, was eure Taten für Folgen haben?
Ich finde diese schlichten Faustregeln immer noch hilfreich. Sie nehmen mich als handelnde Person ernst, sie weisen darauf, dass mein Tun Gewicht hat. Es ist nicht „eh egal“, was ich mache. Ich will mich nicht in Abhängigkeiten ergeben, oder das heute Übliche einfach mitmachen. Ich will ernstnehmen, was ich tue. Will ich das wirklich? Ist es meinem Leben zuträglich? Natürlich kann man auch auf der anderen Seite herunterfallen – Selbstkontrolle kann eine Sucht sein, Selbstdisziplin zur Selbstverknechtung werden. Wie also bewahre ich die Freiheit, zu der mich Christus befreit hat? Wo brauche ich Hilfe beim Freiwerden, weil ich mich zu tief in Abhängigkeiten verstrickt habe?
Hier spricht Paulus nur von den Folgen für das eigene Leben, den eigenen Körper. Später führt er die „Alles ist mir erlaubt“-Reihe weiter und weist auch auf die Folgen für andere. In 1. Korinther 10,23f. schreibt er: „Alles ist erlaubt, aber nicht alles ist zuträglich. Alles ist erlaubt, aber nicht alles baut auf. Niemand suche das Seine, sondern jeder das des anderen!“
Das „Aber“ ist kein Rückfall in Enge und Ängstlichkeit. Im Gegenteil: Wer frei ist, mündig, dem wird auch die Verantwortung zugetraut, klug mit dieser Freiheit umzugehen. Die Folgen für sich und andere im Blick zu haben. So kommen wir immer mehr in die „herrliche Freiheit der Kinder Gottes“ (Römer 8,21) hinein.
Prof. Dr. Deborah Storek
(Theologische Hochschule Elstal)